Let me entertain you
Ein Plädoyer für Unterhaltung. Und gegen das schlechte Gewissen beim Lachen.
Ich möchte diesem Artikel eine Triggerwarnung voranstellen.
An alle, die sich als Intellektuelle bezeichnen:
Dieser Text könnte euch verstören.
In Deutschland darf man alles sein. Nur nicht unterhaltsam.
Wer nicht mindestens Kant zitiert oder sich für Klassik oder Jazz begeistert, wird gesellschaftlich nicht ernst genommen.
Gott bewahre, jemand liest etwas einfach nur zum Vergnügen.
Ohne Erkenntnisgewinn. Ohne intellektuelles Leid.
Ein Skandal.
Natürlich nehme ich mich da nicht aus.
Ich besitze drei Arten von Büchern:
Die, die im Wohnzimmer im Holzregal präsentiert werden (Goethe, Schiller, Bibel – fürs Image).
Die, die im abschließbaren Büro in einem Billy-Regal stehen (Fantasy, Liebesromane – für mich selbst, wenn keiner schaut).
Und die auf dem Kindle.
Über die reden wir nicht.
Musik? Natürlich Klassik.
Zumindest jedenfalls, wenn ich gefragt werde.
Nicht unbedingt deutscher Pop. Und schon gar nicht Schlager.
***
Neulich erinnerte mich eine vergangene Situation auf der Arbeit daran, wie tief dieser Kultur-Reflex sitzt.
Ich rief bei einer Schauspielagentur an. Es ging um eine Hauptrolle für einen Serienpiloten. ZDF.
Die Agentin hörte kurz zu und sagte dann nur trocken:
„XY spielt nicht fürs ZDF. Nur ARTE und ähnliches.“
Dann legte sie auf. Ohne Gruß. Ohne Lächeln.
Als hätte ich sie gefragt, ob XY nackt durch die Fußgängerzone in der Kölner Innenstadt laufen will.
Natürlich nicht als Kunstprojekt.
Sonst hätte sie wahrscheinlich Ja gesagt.
***
Aber woher kommt eigentlich dieses Misstrauen gegenüber allem, was leicht daherkommt?
Warum wird Unterhaltung hierzulande nicht ernst genommen?
Und warum muss Kultur schwer sein, um als wertvoll zu gelten?
Schuld daran ist ein längst vergessenes Phantom: das Bildungsbürgertum.
Diese feine Schicht entstand im 19. Jahrhundert. Ihr Ziel: den „höheren Menschen“ zu formen.
Und wie wurde man das?
Indem man sich mit klassischer Musik, Literatur und Philosophie veredelte.
Kultur war nicht zum Vergnügen da, sondern zur moralischen Selbstoptimierung.
Unterhaltung war Ablenkung. Bestenfalls Zeitverschwendung, schlimmstenfalls kulturelle Verwahrlosung.
Und obwohl es das Bildungsbürgertum in dieser Form längst nicht mehr gibt, hält sich sein Kult um das Erhabene hartnäckig.
***
In anderen Ländern ist das anders.
In den USA oder Großbritannien war Unterhaltung nie der Gegenspieler der Kultur.
Sie war Kultur.
Comics, Pop, Sitcoms. Alles Teil des Diskurses, nicht sein Gegenstück.
Niemand dort zuckt zusammen, wenn ein Intellektueller eine Romantic-Comedy liebt.
(Ich empfehle an dieser Stelle sehr gerne „Dash & Lily“.)
***
Hierzulande hingegen wird Unterhaltung nur akzeptiert, wenn sie sich gut tarnt.
Kabarett? Hochwertig.
Comedy? Infantil.
Ein Popsong darf Gefühle haben. Aber bitte in Lyrikform, mit Metapher und Melancholie.
Eine Samstagabend-Show ist nur dann legitim, wenn man dabei „auch was lernt“.
Das macht mich wahnsinnig.
Denn meiner Meinung nach ist Unterhaltung eines der kostbarsten immateriellen Güter einer Gesellschaft.
Sie verlangt nichts.
Sie will uns nicht erziehen.
Sie macht uns nichts vor.
Sie schenkt uns Leichtigkeit.
Nicht, weil sie dumm ist,
sondern weil sie uns für einen Moment erlaubt, nicht zu zerbrechen.
Gerade in Zeiten wie diesen, in denen alles schwer genug ist,
brauchen wir nicht mehr Tiefgang, sondern Luft zum Atmen.
Nicht immer Drama, manchmal einfach nur einen guten Witz.
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Das heißt nicht, dass Grübeln verboten ist.
Natürlich darf es auch schwere, bedeutungsvolle Texte geben.
Ich neige ja selbst manchmal dazu, solche zu schreiben.
Natürlich.
Ich bin Deutsche.
Ich trage den Weltschmerz in meiner geistigen DNA.
Ich liebe es, melancholische Prosa-Gedichte zu tippen,
die klingen wie eine Therapiesitzung im Slam-Format.
Aber wenn ich ehrlich bin,
will ich euch einfach nur unterhalten.
Euch ein bisschen vergessen lassen, was euch drückt.
Und wenn ich euch dabei manchmal belehre, tut es mir leid.
Ist keine Absicht. Passiert einfach.
***
Ich beende diesen Text mit einem Zitat eines der größten Denker unserer Zeit.
Ein Mann, der das Bedürfnis nach Eskapismus, Emotionalität und Exzess verstanden hat wie kaum ein anderer.
Und ja, ich weiß, es reicht nicht für den deutschen Kulturkanon.
Aber immerhin bleibt’s im Ohr.
„Let me entertain you.“
Mit Humor lässt sich vieles leichter ertragen und er hilft oft auch, sich mit anderen besser zu vertragen. Und Humor kann ent-waffnen, was in Zeitenwenden nicht unwichtig ist.
Ich schau nur Seinfeld.